Jock Stein – “Big Jock und seine Löwen” (Spiegel)

Big Jock und seine Löwen

Von Stefan Osterhaus
Spiegel Online
(German article on Lisbon Lions from 16/10/2006)

1967 war das Jahr für Celtic. Die Glasgower dominierten Schottlands Fußball und gewannen den Europacup der Landesmeister. Es war nicht zuletzt der Triumph eines Mannes, der eigentlich nicht beim erzkatholischen Club hätte arbeiten dürfen – des Protestanten Jock Stein.

Manchmal, alle paar Jahrzehnte, scheinen die Dinge im Fußball einer Vorbestimmung zu unterliegen. Eine Mannschaft rast unaufhaltsam durch einen Wettbewerb, keine Widrigkeit kann sie stoppen, und am Ende erhält sie das, was alle als den gerechten Lohn empfinden.

Am 25. Mai 1967, es war 19.23 Uhr Ortszeit in Lissabon, trat Inter Mailands Mittelfeldspieler Sandro Mazzola zu einem Elfmeter an. Jim Craig hatte Stürmer Renato Cappellini gefoult. Es war die achte Minute im Finale des Europapokals der Landesmeister, und Mazzola verwandelte den Strafstoß gegen Celtics Keeper Ronnie Simpson. Ein früher Rückstand gegen Inter – womöglich glaubten selbst die 7000 Celtic-Anhänger, dass man das Spiel augenblicklich hätte abpfeifen können, bevor noch Schlimmeres passiert.

Welch eine Hypothek für die Schotten, die mit der Empfehlung des nationalen Titels, des gewonnenen Ligapokals und des Cups gekommen waren. Ihre Gegner waren Taktiker höchster Schule. Giacinto Facchetti hieß ihr linker Außenverteidiger, ein Mann, der einen neuen Stil kreierte und bis tief in die gegnerische Hälfte vorstieß. Auf der anderen Seite stand Tarcisio Burgnich.

Zusammen entwickelten sie den Inter-Riegel zur Perfektion. Doch an diesem Abend hatte Facchetti nur in der eigenen Hälfte zu tun, er kam kaum dazu, die Mittellinie zu überqueren. Inters Keeper Giuliano Sarti musste eines der besten Spiele seiner Karriere abliefern. Doch nach einer Stunde glich Thomas Gemmell aus, fünf Minuten vor dem Abpfiff schoss Stephen Chalmers Celtic in Führung. Dabei blieb es.

"Es gab keinen einzelnen Helden. Jeder Mann gab alles", urteilte der "Guardian" über diesen Sieg. Die portugiesische Zeitung "Mundo Desportivo" sah eine schicksalhafte Fügung: "Es war einfach unumgänglich, früher oder später musste Inter, das bisher für den Catenaccio und knappe Siege bekannt war, für seine Weigerung, unterhaltsamen Fußball zu spielen, bezahlen."

Ein Novum stellte dieser Triumph in mehrfacher Hinsicht dar: Es war nicht nur die erste erfolgreiche Finalteilnahme eines schottischen Teams, es war der erste Titelgewinn eines britischen Teams überhaupt. Da schien es nicht weiter verwunderlich, dass bald eine Welle von Verklärungen einsetzte. Ein echter Liederzyklus entstand, Lieder von den "Lisbon Lions", wie man sie im Mittelalter für seine Helden geschrieben hätte. Jock Stein, der Celtic-Coach, sagte einen bemerkenswerten Satz, der eine Menge Verachtung gegenüber dem Spiel der Italiener enthielt: "Wir taten es einfach, indem wir Fußball spielten. Puren, schönen, einfallsreichen Fußball."

Irgendwann, nach ein paar Jahrzehnten Erfolglosigkeit im internationalen Fußball, ist Celtics Ruhm verblasst. Heute kann niemand mehr daran glauben, dass jenseits des Hadrianwalls die Spielkultur ihre Heimat gefunden hatte. Dass es damals anders war, war vor allem Stein zu verdanken. Seine Geschichte ist gleichzeitig die Passionsgeschichte der Männer vom Lokalrivalen Glasgow Rangers. Einige hielten Stein für einen Kollaborateur. Denn er war Protestant und doch Trainer von Celtic, damals durch und durch katholisch wie eine Außenstelle des Vatikans im puritanischen Hochland. Und niemand, wirklich niemand, hat den Rangers mehr Schmerz zugefügt als Stein.

Neun Spielzeiten lang hatten die Rangers nichts zu bestellen. Neun Jahre lang, von 1996 bis 1974, hieß der Meister Celtic. Die Fans besangen Stein: "He came down from Aberdeen, the truth to you I tell / he took over Celtic and he gave the Rangers hell / he had the right ideas, he made the Celtic great / Big Jock, manager of Celtic."

Steins Maxime für seine Arbeit bei Celtic lautete: "Dieses Trikot passt nicht den Zweitbesten." Entsprechend konsequent siebte er aus. Erstaunlich war, dass Stein gar nicht weit zu fahren brauchte, um seine Spieler zu rekrutieren. Es war gewissermaßen eine Auswahl des Großraums Glasgow.

Manchmal wirkten Steins Entscheidungen etwas wunderlich. Zum Beispiel, als er zu Beginn seiner Amtszeit den Torwart Simpson ins Team holte, damals 33 Jahre alt. Stein förderte den Routinier systematisch, er schätzte es, dass Simpson zu jener Sorte Keeper gehörte, die mit dem Ball am Fuß etwas anfangen konnten. Und so kam es, dass Simpson sein erstes Länderspiel mit 36 Jahren absolvierte, in jenem berühmten schottischen Nationalteam, das 1967 England in Wembley 3:2 schlug.

Die "Lisbon Lions" bekräftigten ihren Ruf, eines der besten europäischen Teams zu sein. Ein weiteres Mal erreichte Celtic das Landesmeisterfinale, unterlag aber 1970 dem Außenseiter Feyenoord Rotterdam 1:2 – ausgerechnet in Mailand. Mit dem Abschied der Haudegen von Lissabon schwand jedoch allmählich die Dominanz, auch national: Es gab in der schottischen Liga immer häufiger Zweikämpfe mit den Rangers.

Und Jock Stein? Männer wie er können nicht einfach so abtreten. Am 10. September 1985, es ging gegen Wales um die WM-Qualifikation, sackte er, inzwischen schottischer Nationaltrainer, auf der Bank zusammen. Stein starb, es war sein zweiter Herzinfarkt. Niemand kann sagen, ob er noch mitbekommen hat, dass seine letzte Einwechslung die Wende in diesem Match brachte. David Cooper glich die Führung durch Mark Hughes aus und schoss Schottland zur WM. Aber es gibt viele, die sagen, der schottische Fußball sei in diesen Augenblicken auf seine letzte Reise gegangen.

Celtic Glasgow – Inter Mailand 2:1 (0:1)
(25. Mai 1967, Estadio Nacional in Lissabon)
0:1 Mazzola (7., Elfmeter)
1:1 Gemmell (63.)
2:1 Chalmers (84.)
Celtic: Simpson – Craig, McNeill, Clark, Gemmell – Murdoch, Auld – Johnstone, Wallace, Chalmers, Lennox, Trainer: Stein
Inter: Sarti – Burgnich, Guameri, Picchi, Facchetti – Bedin, Mazzola, Bicicli – Domenghini, Cappellini, Corso, Trainer: Herrera
Schiedsrichter: Tschenscher (Deutschland)
Zuschauer: 45.000